Das höchste Gebot
 Lesepredigt zu Markus 12,28-34 
Foto: Helmut J. Salzer/pixelio.de
der heutige Predigttext ist wie einGoldklumpen im Neuen Testament, ganz kostbar, und leider auch – wieechtes Gold – sehr selten und schwer zu finden. Gemeint ist ein Text,der das Verhältnis von Christen und Juden ganz positiv beschreibt: Hierist ausnahmsweise mal nichts von der Polemik zu spüren, die sonst sohäufig im Neuen Testament vorkommt. Keine Überzeichnung derinner-jüdischen Streitigkeiten, keine schroffe Abgrenzung des sichgerade herausbildenden Christentums von der Tradition des Judentums, mitder es doch eigentlich eng verbundenen ist… Nein, von all‘ diesennegativen Übertreibungen ist hier ausnahmsweise einmal nichts zu spüren. Im Gegenteil: In dem Predigttext wird deutlich, wie eng das Christentumund das Judentum zusammenhängen, dass sie sich auf dieselben Grundsätzeberufen, und auch voller Wertschätzung miteinander umgehen können.
„EinesTages hatten Jesus und Angehörige der Gruppe der Sadduzäer eineDiskussion über die Frage der Auferstehung von den Toten. Zur Lehre derSadduzäer gehörte, dass es keine Auferstehung der Toten gebe. Jesussieht das anders. Er vertritt die Überzeugung, dass Gott den Menschenauch über den Tod hinaus verbunden bleibt und sie zu ihm kommen.
Daswar auch die Überzeugung der Pharisäer. Einer ihrer Toragelehrten hatteder Diskussion (…) zugehört. Jetzt ging er auf Jesus zu. Denn es hatteihm sehr gefallen, wie Jesus gesprochen und seine Überzeugung mit Blickauf die Tora dargelegt hatte. Darum wollte er mit Jesus auch noch übereine andere Frage [sprechen], die ihn selbst beschäftigte (…). Und sofragte er Jesus: ‚Welches ist das höchste Gebot von allen?‘“ 1
[Lesung des Bibeltextes:]
 Undes trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehörthatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gutgeantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot vonallen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre,Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst denHerrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, vonganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (five. Mose 6,4f). Das andre istdies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (three. Mose19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. Und derSchriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig rechtgeredet! Er ist nur "einer", und ist kein anderer außer ihm; und ihnlieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, undseinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopferund Schlachtopfer. Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete,sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagtemehr, ihn zu fragen.
An dieser Geschichte sieht mansehr deutlich, dass Jesus Jude struggle,und wie selbstverständlich und festverwurzelt er in der jüdischenTradition gelebt hat: Als wichtigstesGebot nennt er sofort dasjüdische Glaubensbekenntnis: Shema Jisrael! Diese Worte aus dem 5. BuchMose sind zugleich das wichtigste Gebet imJudentum. Schon jedes Kindkann es auswendig. Diese Worte werden täglichgebetet und begleitenreligiöse Jüdinnen und Juden ihr Leben lang –damals ebenso wie heute. Für unzählige sind dies auch die letzten Worteauf dem Sterbebett…
„Höre,Israel, der HERR ist unserGott, der HERR allein. Und du sollst denHERRN, deinen Gott, lieb habenvon ganzem Herzen, von ganzer Seele undmit all deiner Kraft.“ (5. Mose6,4f.) 
 Dieses Gebot derGottesliebe verbindet Jesus hiermit dem – ebenfalls ur-jüdischen –Gebot der Nächstenliebe, wie es schonim three. Buch Mose (19,18) steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 
Gottesliebeund Nächstenliebe – sie hängen untrennbar zusammen. Da sind sich Jesusund der Tora-Gelehrte einig. Gottesliebe und Nächstenliebe – dieverbinden auch Christentum und Judentum. In beiden Religionen spielensie eine zentrale Rolle.
Aber changed into heißt das nun konkret? Gott zu lieben und die Nächsten zu lieben?
Eine Geschichte aus dem Jerusalemer Talmud erzählt, wie das ist: Gottvon ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allenKräften zu lieben... Rabbi Akiva lebte zur Zeit von Kaiser Hadrian. (Daswar im zweiten Jahrhundert nach Christus.) Der Kaiser verbot damals,die Tora zu studieren. Aber Rabbi Akiva liebte Gott und studiertetrotzdem. Dafür wurde er verurteilt und von dem römischen Beamten Rufusgrausam gefoltert. Als die Gebetsstunde kam, in der Juden das ShemaJisrael sagten, sprach auch Rabbi Akiva das Gebet und lächelte. DerFolterer Rufus sah es und fragte: "Alter Mann, wie kannst du bei deinenSchmerzen lächeln?" Da antwortete Rabbi Akiva: "Ich habe Gott mitmeinemganzen Herzen und mit meinem ganzen Vermögen geliebt. Doch warmirnicht klar, wie ich ihn auch mit meiner ganzen Seele lieben könne. Jetzt, wo ich meine Seele aufgebe und die Stunde des Shema Jisraelgekommen ist und wo ich bei meinem Entschluss bleibe – soll ich da nichtlächeln?" Als er so sprach, verließ ihn seine Seele.
Dies istein besonders starkes Zeugnis der Gottesliebe – wenn guy sich nicht vonseinem Glauben abbringen lässt, auch nicht durch Folter und Gewalt.Wennman Gott so mit ganzem Herzen liebt, und lieber den Tod auf sichnimmtals Gott zu verleugnen oder zu verfluchen.
Keine echteGottesliebeist es hingegen, wenn die Liebe einzig und allein auf Gottbezogenbleibt. Dann wird sie nämlich leicht zum Fanatismus. So ist eszumBeispiel bei manchen Sekten: Es gibt zwar auf der einen Seitescheinbareine starke Liebe zu Gott, aber diese vermeintlicheGottesliebe ist oftvöllig abgehoben und abgedreht… Gefährlich wird es,wenn gleichzeitigandere Menschen verachtet werden – z.B. solche, dieGott nicht auf diegleiche Weise lieben. Das kann doch keine echteLiebe sein, wenn siesich auf der anderen Seite in blankem Hass äußert;wenn Andersdenkendeunterdrückt und vielleicht sogar ermordet werden! Als Christinnen undChristen in Deutschland brauchen wir da auch garnicht so weit zurück zugehen – lange genug haben Christen es mit denJuden ja genauso gemacht… Im Nachhinein können wir sagen: Das warfare keineechte Gottesliebe, diesie dazu getrieben hat. Im Gegenteil: Wenn wirden HERRN, unseren Gott,lieben, dann werden wir auch für unserejüdischen Schwestern und Brüdernur das Beste wollen.
Wenn manGott wirklich liebt, dann wirktsich das immer positiv auf dieMitmenschen – und zwar auf alleMitmenschen – aus. Denn dann erkennenwir in unserem Gegenüber einGeschöpf Gottes: Auch der Fremde wird vonGott geliebt und istliebenswert, egal wie anders er oder sie ist,unabhängig davon, welchesGeschlecht er oder sie hat, welche Hautfarbe,welche Herkunft, welcheGewohnheiten, ja sogar welche Religion…
[Aufforderungan die Gemeinde:] Schauen Sie sich doch einmal um, werda neben Ihnensitztoder auch in den Reihen vor- und hinter Ihnen:Schauen Sie sichdieMenschen genau an, die um Sie herum sind,vielleicht lächeln Siesich jaauch an und nicken sich freundlich zu… –Diese Menschen, wiralle sindGottes geliebte Kinder. Jeder einzelneMensch ist einEbenbild Gottes! 
 Und da kommt die Nächstenliebe insSpiel – ganzautomatisch, wie dieKehrseite der Medaille: Auf dereinen Seite istdie Gottesliebe, auf deranderen die Liebe zu denNächsten. Vielleichthaben Sie ja auch schoneinmal die Erfahrunggemacht: Wenn wir Gottlieben, dann bekommen wireine andereEinstellung zu vielen Dingen undsehen auch unseren Nächstenmitanderen Augen – wohlwollend – an. Wennwir Gott lieben, dann fließtdiese Liebe über auch auf unsere Nächsten.Schon ein altes Sprichwortsagt – und das steht auch in der Bibel:„Wes das Herz voll ist, desgehtder Mund über!“ (Mt 12/Lk 6). 
 Diese Nächstenliebe zeigt sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise. 
- Nächstenliebeist ganz selbstverständlich, wenn guy ein Kind sieht, dashingefallenist und weint – und guy es in den Arm nimmt und tröstet.
 - Nächstenliebe ist, einen kranken, hilflosen Menschen zu besuchen. Sich dazuzusetzen, zuzuhören, einfach für ihn da zu sein.
 - Nächstenliebe ist, die gestresste Kassiererin im Supermarkt freundlich anzulächeln.
 - Nächstenliebeist, dazwischen zu gehen oder Einspruch zu erheben,wenn jemandemUnrecht geschieht – seien es antisemitische oderfremdenfeindlicheSprüche oder gar körperliche Angriffe.
 - Nächstenliebe ist,Flüchtlinge freundlich aufzunehmen, ihnen zu helfen,sich in der neuenSprache und Kultur zurechtzufinden.
 - Nächstenliebe ist, dafür zu sorgen, dass alle Menschen genug zum Lebenhaben – hier bei americaund in der großen, weiten Welt.
 
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